Eine Wirkungsgeschichte
Wie ein Monolith ragt der Dirigent, Organist und Cembalist Karl Richter in der Geschichte der evangelischen Kirchenmusik und der Bach-Interpretation der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Als junger Mann beschloss Karl Richter, inspiriert von der mitteldeutschen Kantorentradition seiner Heimat, dem frühen Eindruck des Klangs der sächsischen Orgeln und der Werke Johann Sebastian Bachs, sein Leben in den Dienst an der Musica sacra zu stellen. In seinem kurzen Leben, das nur 54 Jahre währte, setzte er diesen Vorsatz in den Kirchendiensten an der Thomas-kirche zu Leipzig, an der Markuskirche zu München, in Konzerten, Schallplattenaufnahmen für Teldec und Deutsche Grammophon und als Lehrer an der Münchner Hochschule für Musik, in einer Lebensleistung von fast unüber-schaubarem Ausmaß ins Werk. Es gelang ihm dabei, internationale Maßstäbe zu setzen.
Viel wurde über das Faszinosum nachgedacht, das von Karl Richters Musizieren ausging. Die hier vorgelegte Neuveröffentlichung macht es sich zur Aufgabe, soweit als möglich alle wesentlichen, an verschiedensten Orten verstreut publizierten Zeugnisse über Karl Richter für den interessierten Leser zu sammeln, zu kommentieren und so wieder zugänglich zu machen: Porträts, Interviews, Konzert- und Schallplattenkritiken aus deutschen und inter-nationalen Quellen, dazu alle auffindbaren Konzerttermine und die mitwirkenden Künstler.
Dabei wird die Entstehung einer neuen Begeisterung für das Werk Johann Sebastian Bachs in der Nachkriegszeit nachgezeichnet, die die Interpretationen Karl Richters von München ausgehend hervorriefen, sowie deren internationale Resonanz und letzlich ihre Konfrontation mit dem Paradigmenwechsel in der Interpretation "Alter" Musik, hervorgerufen durch die sogenannte "historisch informierte Aufführungspraxis". In diesem Zusammenhang wird auch die Problematik einer Musikinterpretation erörtert, die sich mit ihrer "Uraufführungs-Ästhetik" in die Idealwelt einer letztlich ungreifbaren Vergangenheit flüchtet und sich von einer Vergegenwärtigung des "alten" Werks für die je aktuelle Gegenwart und ihren zeitgenössischen Hörer verabschiedet hat.
Neben der biographischen Nachzeichnung seines Lebens wird der Band ergänzt durch einführende Essays über Karl Richter als Musiker und Mensch, sowie den Stand der Interpretation „Alter Musik“ in der Gegenwart und Karl Richters künstlerisches Vermächtnis. Zahlreiche Fotos vermitteln die Atmosphäre einer Geschichte gewordenen Epoche der Musik. Über ein Personenverzeichnis, eine Diskographie und ein Verzeichnis aller von Karl Richter aufgeführten Werke, das sämtliche Aufführungen in chronologischer Reihenfolge auflistet, lässt sich das Buch leicht erschließen.
Zum 90. Geburtstag Karl Richters im Jahre 2016 liegt damit ein umfassendes Handbuch vor, das die Wirkungsgeschichte Karl Richters als Orgelvirtuose, als Leiter seines eigenen Münchener Bach-Chors und Bach-Orchesters, aber auch als Gastdirigent deutscher und internationaler Chöre und Orchester und seines über Jahrzehnte gültigen Bach-Stils in ihrer internationalen Ausstrahlung plastisch darzustellen vermag.